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DGB Regionsvorsitzende Hildegard Maaß
Rede von Astrid Kraus Verdi Köln Koordinierungskreis attac Deutschland

Der 1. Mai ist ein historischer Tag, auf den die internationale ArbeiterInnenbewegung mit Recht stolz sein kann. Er setzt ein Zeichen dafür, dass Arbeiterinnen und Arbeiter sich gegen Entwürdigung und Ausbeutung gewehrt haben und noch wehren. In ihren besten Zeiten haben sie für nichts weniger als eine Gesellschaft freier und gleicher Menschen gekämpft. Sie war die erste emanzipatorische Bewegung im Kampf um die Würde des Menschen. Sie haben erkannt, dass der Kampf gegen das Kapital nur gewonnen werden kann, wenn Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit solidarisch sind und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.

Der 1. Mai hat eine lange Tradition. Lasst uns den heutigen 1. Mai nutzen, um zu fragen, wo wir heute stehen und wofür wir heute und in Zukunft kämpfen müssen.

Erstmal müssen wir nüchtern feststellen: Wir sind von einer Gesellschaft gleicher und freier Menschen noch weit entfernt. Weltweit ist der Großteil der Menschen ist immer noch darauf angewiesen, seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf seiner Arbeitskraft zu bestreiten. Weltweit arbeiten Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen. Ganz zu schweigen von den Menschen, die keine bezahlte Arbeit haben. Weltweit werden Menschen verfolgt, verjagt und verkauft. Kriegerische Auseinandersetzungen nehmen zu, nicht ab. Immer noch werden Frauen von Männern unterdrückt. Und immer noch tun wir so, als könnten wir mit den natürlichen Ressourcen beliebig umgehen.

Auf der anderen Seite haben wir in den westlichen Industrieländern ein beispielloses Wohlstandsniveau erreicht. Es gibt Menschen, die so reich sind, dass sie nicht mehr wissen, wohin sie mit ihrem Geld sollen. Uns steht ein unfassbares Angebot an Waren und Dienstleistungen zu Verfügung - zumindest denen, die es sich leisten können. In den vormals sozialistischen Ländern haben geschickte und skrupellose businessmen große Vermögen angehäuft. Und in den sog. Dritte-Welt-Staaten teilen sich wenige Reiche die Einnahmen aus Korruption und Handel unter sich auf.

Eigentlich, sollte man meinen, haben wir die Technologien und die Ressourcen dafür, dass Menschen überall in Würde leben können. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Die Schere zwischen arm und reich geht wieder weiter auf, auch in der Bundesrepublik. Die Stimmung ist schlecht. Viele haben hierzulande Angst, dass es ihnen in Zukunft schlechter gehen wird als heute. Die ArbeitnehmerInnen leiden unter Reallohneinbußen, dem Abbau der sozialen Sicherungssyteme, der zunehmenden Arbeitsbelastung und der Bedrohung ihrer Arbeitsplätze. Und diejenigen, die keine Arbeit haben, trauen sich schon kaum mehr, sich zu beklagen. Die meisten schämen sich lieber still dafür, dass ihre Fähigkeiten nicht gebraucht werden. Aber, so wird ihnen beschieden, da könne man nichts machen, das sei eben so hinzunehmen, weil nur harte Einschnitte langfristig das Wohlstandsniveau sichern können.

Für die Missstände hat die Regierung eine einfache Erklärung gefunden: Herr Müntefering macht das Finanzkapital verantwortlich, Herr Schröder die unpatriotischen Unternehmer.

Die Anschuldigungen von Herrn Müntefering und Herrn Schröder hören sich erstmal plausibel an. Es ist nicht falsch, dass große internationale Fonds Unternehmen kaufen und an nichts anderem als an der Maximierung der kurzfristigen Rendite interessiert sind. Und viele Industriezweige haben ihre Produktion inzwischen weitgehend aus Deutschland verlagert. So hat sich die Textilindustrie nahezu vollständig nach verabschiedet, einiges wird in der Türkei und Rumänien produziert, der Rest direkt in Fernost. Aber durch Appelle oder Vorwürfe werden sich Unternehmen wohl kaum zu mehr Investitionen und Einstellungen bewegen lassen. Ebenso wenig dürften moralische Vorwürfe dazu führen, dass finanzkräftige Anleger ihre Renditeerwartungen nach unten korrigieren und statt sich dessen für den Erhalt von Arbeitsplätzen einsetzen. Solche Kapitalismuskritik a la SPD macht es sich zu einfach. Wenn wir wollen, dass sich etwas ändert, müssen wir nach den Ursachen dieser Verwerfungen fragen und nach Lösungen suchen, die weiter gehen als kosmetische Korrekturen.

Wir haben inzwischen einen nahezu unbegrenzten Weltmarktes für Kapital und Güter. Zölle und Kapitalverkehrkontrollen sind unter dem freiwilligen Diktat der Welthandelsorganisation weitgehend abgeschafft. Billige und schnelle Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten erlauben einen weltweit effizient organisierten Austausch von Gütern und Informationen. In den osteuropäischen Ländern stehen viele gutausgebildete Menschen bereit, die für einen Teil des deutschen Gehaltes die gleiche Arbeit verrichten. Und in Fernost gibt es Heerscharen von Menschen, die zum billigen Ausverkauf ihrer Arbeitskraft gezwungen werden, wenn sie nicht verhungern wollen.

Unternehmen investieren dort, wo sie sich die größte Rendite versprechen. Ausschlaggebend für die Renditeerwartungen sind eine Reihe von Fakten: Höhe der relativen Löhne, also die Lohnstückkosten, Höhe der Abgaben und Belastungen, Qualität der Ausbildung, Absatzerwartungen, Transportkosten, öffentliche Auflagen wie Umweltschutzbedingungen. Die Qualität der öffentlichen Versorgung und die Qualität von Arbeitsplätzen spielt in diesem Kalkül systemgemäß nur eine Rolle, wenn sie Einfluss auf die Renditen haben. Wenn also dauerhafte Streiks und Massenproteste zur Verteuerung der Produktion führen oder zum Sinken der Nachfrage, macht es aus Sicht der Unternehmen Sinn, den Forderungen entgegen zu kommen. Für Sentimentalitäten gibt es in der internationalen Konkurrenz keinen Platz, wer zurückfällt, fliegt irgendwann vom Markt.

Wenn also die Deutsche Bank als Großbank im internationalen Wettbewerb auf den vorderen Plätzen mitspielen will, muss sie sich an den Großen der Brache orientieren. Wenn die Citibank eine Rendite von 42% hat, die Deutsche Bank aber "nur" 20%, dann werden Investoren bevorzugt in die Citibank investieren und die Deutsche Bank wird im Wettbewerb zurück fallen. In der Logik eines Systems, in dem gilt, dass nur der Gewinner überlebt, wird jedes Unternehmen versuchen, alles ihm mögliche zu tun, um zu gewinnen. Unternehmen werden also ständig bestrebt sein, ihre Kosten möglichst gering zu halten. Der Vergleich mit einer Heuschreckenplage stört sie dabei nicht im geringsten. Wer glaubt, Unternehmer ließen sich deshalb von Investitionen abhalten, hat eine Vorstellung von Wirtschaft, die mit der Realität wenig zu tun hat.

Der Konkurrenzkampf erklärt zwar den permanenten Kostendruck, bietet aber keine zufrieden stellende Erklärung für die hohe Erwerbslosigkeit in den meisten europäischen Industrienationen. Dafür gibt es mehrere Ursachen. Ich will einen kurzen Aufriss versuchen.

Der beispiellose Produktivitätsfortschritt der Nachkriegsboomjahre erlaubt es, menschliche Arbeit durch maschinelle Arbeit zu ersetzen. Dadurch kann die gleiche Menge von Produkten mit weniger menschlicher Arbeitskraft hergestellt werden. Wenn also die Nachfrage nach Gütern nicht mindestens in gleichem Maß steigt wie die Produktivität, wird insgesamt weniger menschliche Arbeitskraft gebraucht. In der BRD bleiben spätestens seit den 80er Jahren die Nachfragezuwächse hinter den Produktivitätszuwächsen zurück. Das wird zwar teilweise durch Exportsteigerungen kompensiert, aber es bleibt in der Summe bei einer Freisetzung von Arbeitskraft.

Ein zweiter Grund für die Zunahme der Erwerbslosigkeit ist, dass Produzenten auf dem Weltmarkt entscheiden können, wo sie ihre Produktion ausüben. Wenn also die Rendite im Ausland größer ist als in Deutschland, wird die Produktion verlagert. Das ist umso leichter, je weniger Investitionseinrichtungen dafür nötig sind. Ein Paradebeispiel ist die Textilindustrie. NäherInnen sind in der Regel nur gering qualifiziert, es braucht keine besondere Ausbildung. Chinesische NäherInnen sind genauso schnell und gut wie ihre deutschen KollegInnen, kosten aber nur einen Bruchteil. Und Nähereien sind ohne großen Aufwand überall etablierbar.

Wenn es also in China genug NäherInnen gibt, um dort sämtliche Textilien für den Weltmarkt zu produzieren, wird die Näherei sich dorthin verlagern. Die deutschen NäherInnen werden für die Weltmarktproduktion nicht mehr gebraucht. Nur wenn sich die Renditeerwartungen ändern würden, weil beispielsweise schlagartig die Nachfrage nach Textilien ansteigt oder die chinesischen ArbeiterInnen höhere Löhne verlangen oder höhere Sozialabgaben und Steuern fällig werden, käme das Unternehmen vielleicht nach Deutschland zurück. In der Realität stehen die Chancen dafür eher schlecht. Die Textilindustrie ist nur ein Beispiel. Niedrig qualfizierte in Ländern mit hohen Lebenshaltungskosten haben auf dem Arbeitsmarkt unter deliberalisierten Weltmarktbedingungen wenig Chancen.

Die fast 6 Mio Erwerbslosen sind aber nicht alle gering Qualifiziert. Immer mehr gut ausgebildete und vielseitig einsetzbare FacharbeiterInnen und AkademikerInnen finden keinen Job, der ihren Qualifikationen entspricht. Eine Ursache dafür ist sicher die Konkurrenz auf dem internationalen Arbeitsmarkt, Gerade Osteuropäer haben die gleichen Fertigkeiten und Kenntnisse, sind aber fast durchgängig billiger. Wenn die billige Arbeitskraft ausreicht, um die weltweite Nachfrage zu bedienen, warum sollte ein Unternehmen dann auf die teuere, deutsche Alternative zurück greifen?

Die schlichte Antwort der Unternehmen lautet deshalb: Runter mit den Löhnen, Lohnnebenkosten und Steuern. Weg mit Kündigungsschutz, Umweltschutz und anderen lästigen Produktionshemmnissen. Nur so kann es aufwärts gehen.

Diese Glaubenssätze werden landauf landab in talk shows, an Stammtischen und überall dort, wo Meinung gemacht wird, wiederholt.

Auch wenn viele mittlerweile ein Grummeln dabei spüren, weil sie irgendwie das Gefühl haben, dass das nicht so ganz richtig ist: Der Glaube an die Alternativlosigkeit der geforderten Rosskur siegt letztendlich. In dieser Situation haben rechte Rattenfänger mit ihren einfachen und menschenverachtenden Parolen Hochkonjunktur. Es muss die Pflicht aller sich fortschrittlich verstehenden Organisationen, sozialen Bewegungen wie Attac, Gewerkschaften und den progressiven Teilen der Kirche, sich einzumischen!

Doch wie? Die Proteste gegen Hartz IV sind verpufft, im Gegenteil, man ist froh, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist. Viele sind der Regierung jetzt dankbar dafür, dass sie selbst ein vorläufiges Ende der Einschnitte vorschlägt, und vergessen, wie weit sie schon gegangen ist.

Ich denke, dass es eine unserer vordringliche Aufgaben sein muss, Gegenargumente publik zu machen. Wir dürfen vor der Macht der Gegner und der Vehemenz ihrer falschen Argumente nicht zurückhalten, wir müssen ihnen umso entschiedener unsere Argumente und Forderungen entgegenhalten.

Wir sagen: Lohnsenkungen sind falsch. Wer in Lohnsenkungen nur Kosteneinsparungen sieht, vergisst, dass niedrigere Löhne auch zu weniger Nachfrage führen. Deutschland leidet wie keine anderes Land unter einem Mangel an Binnennachfrage. Wer niedrigere Löhne zahlt, sorgt dafür, dass die Nachfrage weiter sinkt. Außerdem hat eine Lohnsenkung in Deutschland eine fatale Signalwirkung auf andere Länder, gerade in der EU. Denn hier ist eine Angleichung der Löhne längerfristig unumgänglich. Wir müssen hier dafür sorgen, dass die Löhne in Europa nicht auf lettisches und rumänisches Niveau sinken, sondern auf deutsches Niveau steigen.

Wir sagen: Arbeitszeitverlängerung ist falsch. Wir müssen nicht mehr arbeiten, sondern weniger, wenn wir wollen, dass mehr Menschen am sozialen Leben teilhaben können. Arbeit ist für viele nicht nur Mittel zum Zweck des Gelderwerbs. Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen gesellschaftliche Wesen sind und sie ihren Beitrag zur Gemeinschaft leisten wollen. In unserer Gesellschaft wird der Wert des Beitrags zur Gemeinschaft in der Regel am Arbeitsentgelt bemessen. Wer keine Arbeit hat, ist also doppelt benachteiligt: Zum einen finanziell, zum anderen wird ihm die Basis seiner Wertschätzung entzogen.

Das heißt nicht: Arbeit um jeden Preis. Im Gegenteil. Arbeit muss auch die Möglichkeit bieten, sich selbst und seine Fähigkeiten einbringen zu können.

Wir sagen: Die Zerschlagung der sozialen Sicherungssysteme ist falsch. Wir brauchen ein öffentliches Gesundheitssystem, an dem sich alle beteiligen. Es ist eine der großen Lügen der selbsternannten Reformer zu behaupten, dass private Vorsorge billiger und effizienter wäre als öffentliche. Das Gegenteil ist der Fall. Ein privatisiertes Gesundheitssystem wird verstärkt die Leistungen anbieten, die teuer nachgefragt werden. Dabei ist es gleichgültig, ob Menschen dadurch tatsächlich gesünder werden und wie vielen Menschen eine solche Leistung helfen kann. Ein Beispiel für solche Fehlallokationen ist, dass weltweit wesentlich mehr Mittel in die Forschung für Schlankheitsmittel gesteckt werden als in die Forschung für effiziente Malariamittel.

Wenn aber die Basisgesundheitsversorgung schlechter wird, entstehen umso höhere Folgekosten. Dazu kommt, dass im Kampf um die lukrativen ZahlerInnen mehr Gelder für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben müssen. Man muss sich hier fragen, wie effizient das ist.

Wir sagen: Die Privatisierung der Rentenversicherung ist falsch. Die demografische Entwicklung ist nur ein Vorwand. Solange die Rentenversicherung nur von den Erwerbstätigen gezahlt wird, ist nicht das Verhältnis von alten zu Jungen, sondern das Verhältnis der Einkommen der Erwerbstätigen zur Zahl der RenterInnen entscheidend. Wenn also weniger Erwerbstätige in Summe das Gleiche oder mehr verdienen, also pro Kopf über mehr verfügen, führen höhere Beiträge zu keiner Schlechterstellung des einzelnen Erwerbstätigen. Dazu müssten die Erwerbstätigen höhere Löhne durchsetzen können, die mindestens dem Produktivitätsfortschritt entsprechen. Ein Finanzierungsproblem gibt es nur bei gleich bleibender Erwerbslosigkeit und Lohnzuwächsen unterhalb der Produktivitätsfortschritts. Die Erwerbslosigkeit nimmt aber nicht ab und Lohne in der Regel nicht zu, wenn das Wachstum kleiner ist als der Fortschritt der Produktivität. Denn nur wenn das auch abgesetzt, was die gleiche Anzahl an Erwerbstätigen Dank des Produktivitätsfortschritts jetzt mehr produziert, wird die Erwerbslosigkeit nicht weiter steigen. Und nur dann werden Erwerbstätige auch höhere Löhne durchsetzen können. Die Finanzierung der Rentenversicherung hängt damit maßgeblich vom Wachstum und von der Realisierung von Lohnsteigerungen ab.

Die Vorstellung, eine privatisierte Rentenversorgung könnte besser als eine Umlagefinanzierung sein, ist falsch. Es ist doch nicht so, dass bei einer privaten Versicherung während der Sparzeit Geld im Sparstrumpf gehortet wird. Die Beiträge müssen angelegt werden, damit sie die Renditezuwächse abwerfen, von denen die RentnerInnen später leben wollen. Ob aber die erwatete Rendite realisiert werden kann, hängt davon ab, ob die Renteneinzahlungen überhaupt für Investitionen gebraucht werden. Investitionen werden aber nur bei entsprechender Nachfrage nach Zusatzinvestitionen getätigt. Zusätzliche Investitionen werden aber nur gebraucht, wenn die Wirtschaft wächst. Beide Systeme, umlagefinanzierte und private Versorgung sind also an Wachstum gekoppelt. Nur sind die Privaten teuerer, weil sie nicht nur die Ansprüche der RenternInnen bedienen müssen, sondern auch noch die Renditeerwartungen der beteiligten Investoren, denen das Alterseinkommen von RenterInnen herzlich egal ist.

Deshalb: Hände weg von der umlagefinanzierten Rente.

Wir sagen: Wir brauchen höhere Steuern für Unternehmen und Reiche.

Die Unternehmensteuersätze und der Spitzensteuersatz müssen angehoben werden. Wir fordern die Wiedereinsetzung der Vermögensteuer und die Anhebung der Erbschaftsteuer. Wer glaubt, Unternehmen würden wegen Steuersenkungen weniger abwandern irrt. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Höhe der Steuersätze im internationalen Kampf um Direktinvestitionen nicht entscheidend ist. Genau sowenig zutreffend ist die Behauptung, dass höhere Gewinne zu Mehrinvestitionen führen. Wenn Unternehmen keine Märkte sehen, werden sie Gewinne auch nicht investieren. Genau in dieser Situation sind wir aber derzeit: Die hohen Gewinne werden nicht für Erweiterungsinvestitionen genutzt, weil es weltweit nicht Unter- sonder Überkapazitäten an Investitionsanlagen gibt. Mehrinvestitionen werden aber nur getätigt, wenn es auch Mehrnachfrage gibt.

Was die Vermögens- und Erbschaftsteuer angeht, so ist sie nichts weiter als eine dringend notwendige Korrektur der Verteilungsfehler der Vergangenheit. Denn die Entstehung großer Vermögen ist per nur durch falsche Verteilung in den Entstehungsperioden des Vermögens zu begründen.

Wir sagen: die öffentlichen Leistungen müssen ausgebaut werden, nicht abgebaut. Eigenverantwortung fördern lautet der Schlachtruf der Neoliberalen. Wir wären satt und faul geworden, würden nur die Sicherheit wollen und wären nicht mehr bereit, um uns selber zu kümmern. Deshalb: weg mit der sozialen Hängematte, damit wir endlich selbst verantwortlich handeln können! Schön hört sich das an, Eigenverantwortung, als hätten wir tatsächlich die Möglichkeiten, unser Leben nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Aber wo sind den die Freiräume, in denen wir unser Leben gestalten können? Bei den meisten steht schon bei der Geburt fest, welchen Platz in der Gesellschaft sie einnehmen werden: Gerade mal 12% Kinder aus klassischen Arbeiterfamilien studieren.

Wer aus einem Elternhaus kommt, in dem ein Elternteil eine leitende Position hat, hat selbst gute Aussichten auf eine ähnliche Stellung. Kinder, die aus Elternhäusern kommen, in denen beide Eltern selbst mit der Erziehung überfordert sind, werden dagegen in der Regel pflichtgemäß 9 Jahre durch die Schule geschleift und dann in die sichere Arbeitslosigkeit entlassen. Gerade Kinder aus sozial benachteiligten Mittel brauchen intensive öffentliche Förderung, wenn sie eine Chance haben sollen. Ansonsten bleibt nur noch die zynische Alternative eines abgeschriebenen Subproletariats, das mit minimaler Mittelausstattung sich selbst überlassen wird. Eine solche Entwicklung ist nicht nur für die betroffenen Individuen katastrophal, sie birgt auch sozialen Sprengstoff.

Und welche Freiräume hat denn ein erwerbsloser Schlosser über 50 im Osten? Er kann sich überlegen, ob er sein Arbeitslosengeld II lieber zu Penny oder zu Lidl trägt. Welche Freiräume hat eine alleinerziehende Migrantin? Wer kann denn heute entscheiden, wo und wie er arbeiten möchte?

Wenn die Neoliberalen Eigenverantwortung fordern, haben sie nichts anders im Kopf, als Kosten zu sparen und möglicherweise profitträchtige Leistungen zu privatisieren. Es geht ihnen beileibe nicht um freies und selbstbestimmtes Leben unter Gleichen. Es geht ihnen um einen sozialdarwinistischen Kampf, in dem sich der Beste durchsetzt und die anderen versuchen, ihm nachzutun und deshalb selbst Erfolge haben. Jeder für sich und gegen die anderen. Sie meinen die totale Konkurrenz, wenn sie Eigenverantwortung sagen.

Eine elementare Voraussetzung für echte Freiräume ist Bildung. Im Moment haben wir eine öffentliche Mangelverwaltung der Bildung. Die offensichtlichen Defizite machen sich die Neoliberalen zu Nutze, um nach Verbesserung durch Privatisierung zu schreien. Das ist die grundfalsche Richtung. Nur wenn Bildung öffentlich ist, bleibt sie für jeden zugänglich. Die Mängel müssen nicht durch weniger öffentliche Investitionen, sondern durch einen deutlichen und massiven Ausbau aller Bildungsformen, angefangen vom Kindergarten, bis zu Meisterschulen und Studium, beseitigt werden.

Wir brauchen öffentliche Beschäftigung, damit auch weniger Qualifizierten eine Chance haben, mit ihren Fähigkeiten ihr Aufkommen zu sichern. Wir brauchen keinen staatlich subventionierten Niedriglohnsektor für gering Qualifizierte. Letztendlich entsteht durch Lohnsubvention immer Lohndruck.

Und wir brauchen eine umfassende und bedingungslose soziale Sicherung, die allen in Deutschland leben, die vom Erwerbsleben ausgeschlossen sind, eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht.

Wir sagen: Frauenförderung heißt nicht, Frauen im Dienst der Rentenversicherung als Gebärmaschinen zu fördern Lohnabhängige Frauen sind einer doppelten Unterdrückung ausgesetzt. Zum einen unterliegen sie, wie Männer, den Zwängen der kapitalistischen Prodkutionsweise, zum anderen sind sie aber zusätzlich aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt. Statt eines Fortschritts erleben wir derzeit einen roll-back in der Frauenpolitik. Ich will jetzt nicht von der Ungleichheit bei der Entlohnung reden, die immer noch zum Himmel schreit, sondern über das, was derzeit als Frauenpolitik verkauft wird.

Gefördert wird die Aufzucht von Kindern und die unbezahlte Sozialarbeit von Frauen, nicht die Frauen. Der mainstream denkt reaktionär und argumentiert mit einer "natürlichen" Ordnung: Kinder gehören zu Frauen und Frauen zu Kindern. Frauen sind eben sozial kompetent, Männer in der Wirtschaft. Frauen mit Kindern haben durch die Bank Nachteile im beruflichen Leben, Frauen ohne Kinder gelten als herzlos und egoistisch. Bei Männern stellt sich die Frage nicht.

Dass dringend mehr öffentliche Betreuungsangebote nötig sind, liegt auf der Hand. Nötig ist aber noch etwas anderes: Der Wandel des Frauenbildes von Männern und Frauen in den Köpfen. Die Fähigkeiten zum Putzen, Kinderwickeln und zur Pflege alter Menschen liegt nicht in den weiblichen Genen. Das können Männer auch. Und mensch braucht kein Testosteron, um rational denken zu können, Entscheidungen zu treffen und Leitungsfunktionen wahrzunehmen. Frauenförderung ist kein Gedöns. Sie ist eine ernst zu nehmende und gesamtgesellschaftliche Aufgabe und es steht uns Frauen gut, das auch vehement einzufordern.

Wir sagen weiter: Wir brauchen keine Deregulierung von Märkten, wir brauchen mehr internationale Regulierung. Wir brauchen international verbindliche Abkommen für Umwelt und soziale Mindeststandards. Die Umweltprobleme lassen sich im nationalen Maßstab nicht mehr lösen. Es hilft wenig, wenn in Deutschland keine Atomkraftwerke gebaut werden, und dafür in Russland uralte Reaktoren im Betrieb sind. Es hilft wenig, wenn die Deutschen den Müll trennen, wenn in China Schwermetalle in Flüsse geleitet werden.

Solche internationalen Abkommen sind schwer durchsetzbar, gerade Länder mit nachholender Entwicklung haben großes Interesse, Investoren anzuziehen, um zu mehr Wohlstand zu kommen. Umweltauflagen finden Investoren aber eher hinderlich. Solange es also eine Region gibt, in der es solche Auflagen nicht gibt, werden Nationalstaaten erpressbar sein, weil sie keine andere Möglichkeit sehen, am Wohlstand zu partizipieren.

Länder mit nachholender Entwicklung müssen eine faire Chance auf Wohlstand haben. Ein erste notwendige Maßnahme ist die Streichung der erdrückenden Schulden, denn der Schuldendienst macht oft einen Großteil des öffentlichen budgets aus. Eine zweite Maßnahme ist die Förderung der Entwicklung mit internationalen Geldern, die durch internationale Steuern erhoben werden, wie die Tobin-Steuer. Die Mittelverwendung darf nicht von den westlichen Industrienationen diktiert werden. Das Minimalkriterium muss friedliche Außenpolitik und die Förderung von nachhaltigen Entwicklungsperspektiven sein. Dennoch: ohne weltweites Wachstum wird es diese Perspektive nicht geben, wenn nicht gleichzeitig der Wohlstand im Westen sinkt. Denn nur, wenn insgesamt mehr da ist, können auch alle mehr haben, ansonsten kann nur das neu verteilt werden, was da ist. Wir müssen dafür kämpfen, dass diese nötige Wachstum nicht zu Lasten der Ökologie geht.

Es bleibt die Frage, wie diese Politik gegen die Interessen des weltweit agierenden Kapitals durchgesetzt werden soll. Solange es Nationalstaaten gibt, müssen wir selbstverständlich hier mit unserer Kritik und unseren Protesten ansetzen. Hier zahlen wir Steuern, hier wählen wir und hier leben wir. Und selbstverständlich haben unsere Siege und unsere Niederlagen nicht nur Auswirkungen auf unser Leben: Wenn wir hohe soziale und ökologische Standards haben, eröffnen wir auch immer Spielräume für Bewegungen in anderen Ländern.

Dennoch zeigt gerade die Entwicklung in Europa, dass die sozialen Bewegungen sich über den nationalstaatlichen Rahmen hinaus organisieren müssen. Nicht nur, weil viele Entscheidungen mittlerweile auf europäischer Ebene fallen. Wir müssen auch Sorge dafür tragen müssen, dass die Lohnabhängigen sich nicht gegenseitig in den Rücken fallen. Es ist aus individueller Sicht natürlich nachvollziehbar, dass ein polnischer Arbeiter, der in Polen 3 Euro die Stunde verdient, lieber in Deutschland für 6 Euro schwarz arbeitet. Aber für die Lohnabhängigen insgesamt, sowohl in Polen als auch in Deutschland, ist diese individuelle Einkommensmaximierung schädlich, weil sie auf das Lohnniveau in Deutschland drückt und damit zugleich verhindert, dass das Lohnniveau in Polen steigt. Polnische und litauische Lohnabhängige müssen an Investitionen interessiert sein, weil dadurch die Nachfrage an Arbeitskräften steigt.

Der Rückfall in nationalen Protektionismus wäre eine Katastrophe. Wir müssen entschieden gegen den wieder erstarkenden Nationalismus und latenten Ausländerhass kämpfen. Der von Deutschland ausgehende zweite Weltkrieg mit seinen über 60 Millionen hat gezeigt, wohin nationale Politik führt. Dieses einzigartige, von Deutschen organisierte und durchgeführte Verbrechen darf sich niemals wiederholen.

Es ist unsere Pflicht und unsere Aufgabe für ein freies und friedliches Europa zu kämpfen, wenn wir den Kampf unserer Vorgänger für eine Gesellschaft freier und gleicher Menschen nicht verloren geben wollen.